Die Geschichte des Feuers

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Seit Anbeginn der Zeit lodert es in uns: Das Feuer hat den Menschen aus der Dunkelheit geführt. Vor mehr als einer Million Jahren hat es das tägliche Überleben unserer Vorfahren gesichert. Heute ist Feuer ein normaler Bestandteil unseres gesellschaftlichen Lebens. Eine kleine Geschichte von den Anfängen der Feuernutzung.

Die Gruppe ist unruhig, aufgeregt. Heute könnte es gelingen. Die ganze Nacht hindurch ist ein Gewitter mit vielen Blitzen über das Land gezogen. Jetzt, am nächsten Morgen, liegt ein untrüglicher Geruch in der Luft. Ganz in der Nähe muss es gebrannt haben. Als die Gruppe ihre sichere Felshöhle verlässt, bietet sich den neun Menschen der Gattung Homo erectus ein atemberaubendes wie erschreckendes Bild: Das kleine Wäldchen in der Ferne ist niedergebrannt. Hier und da steigen immer noch Rauchschwaden auf. Wenn jetzt einer aus der Gruppe den Mut findet, dem lodernden Horizont entge- genzulaufen und mit Feuer zurückzukehren, dann könnte die nächste Mahlzeit eine ganz besondere sein. Und es könnte endlich wieder warm sein nachts, fast wie in den Sommermonaten. 

Die Geschichte der Menschheit ist eng verwoben mit der des Feuers. Auf unserer Reise gehen wir weit in die Menschheitsgeschichte zurück und schauen uns an, wie der Mensch und das Feuer zueinandergefunden haben. Dazu begleiten wir eine Gruppe der Art Homo erectus auf der Jagd nach einem brennenden Stück Holz. Und wir nähern uns der Frühgeschichte der Feuernutzung aus wissenschaftlicher Sicht. Hier, vor etwa 1 bis 1,5 Millionen Jahren, beginnt eine wundervolle Geschichte, die zu- gleich voller Gefahren steckt. Die Nutzung der Flammen bescherte unseren Vorfahren bessere Nahrung, Wärme und Licht, was – so vermuten Anthropologen – zu einem größeren Gehirn führte. Das Feuer trug außerdem dazu bei, dass wir sesshaft wurden und einige der wichtigsten Kultur- und Überlebenstechniken unserer Art ausüben konnten.

Auf den Mutigen wartet der gerechte Lohn

Die Unruhe steigert sich fast zu einem Tumult. Das Feuer zu holen, ist keine leichte Aufgabe. Jeder in der Gruppe weiß: Eine solche Aktion kann mit Verbrennungen enden, vielleicht mit dem Tod. Aber da ist etwas, das sie hin- zieht zu der gefährlichen Stelle, an der tags zuvor noch ein Wäldchen stand. Und das ist der Unterschied, den Früchte, Pflanzen und Fleisch machen, wenn sie eine Zeit lang nah am Feuer lagen. Das ist das Wunder, dass man die anderen sehen kann, auch wenn es dunkel geworden ist. Und das ist die Wärme, die ein Feuer abgibt. Es ist fast, als hätte man ein Stück der Sonne vor sich. Es dauert noch eine Weile, dann macht sich Akra, der Anführer der Gruppe, auf den Weg – begleitet von den aufmunternden Rufen seiner Schützlinge … 

Für uns stellt Feuer heute einen normalen Bestandteil unseres Lebens dar. Es wird genutzt, um den Grill anzu- zünden, wir nutzen es zur Herstellung von Eisen und Glas und für eine gemütliche Stimmung entzünden wir eine Kerze – oder wir machen den Kamin an. Bis es uns Menschen gelang, Feuer so kontrolliert zu nutzen, hat es allerdings viele Jahrtausende gebraucht. Forscher gehen davon aus, dass die Feuernutzung durch den Menschen zunächst vom Zufall abhing: Es musste ein natürliches Ereignis geben, wie einen Vulkanausbruch oder einen Waldbrand. Erst dann konnte das Feuer, aller Wahrscheinlichkeit nach unter großer Anstrengung und mit einer großen Portion Mut, eine Zeit lang genutzt werden. Das bedeutet: Wer kein Feuer hatte, musste warten.

Von der Bedrohung zum Überlebensgarant 

Die ersten Hinweise auf einen kontrollierten Gebrauch von Feuer stammen aus Koobi Fora im heutigen Kenia. Mithilfe der Elektronenspinresonanz wurde nachgewiesen, dass Sediment, welches etwa 1,5 Millionen Jahre alt ist, sehr wahrscheinlich als Feuerstelle genutzt wurde. Etwas konkretere Nachweise werden aus Swartkrans in Südafrika gemeldet, wo rund eine Million Jahre alte Verbrennungsspuren an Knochen nachgewiesen werden konnten. Die errechneten Temperaturen waren so hoch, dass sie nicht von einer natürlichen Quelle herrühren konnten, beispielsweise von einem Buschfeuer. Dass es sich hierbei um vereinzelte Funde handelt, die nicht mehr als Hinweise sein können, zeigt: Feuernutzung war vor einer Million Jahren eher eine zufällige Sache.

SPURENSUCHE
Der bekannteste Nachweis für menschliche Feuernutzung befindet sich in der südafrikanischen Wonderwerk-Höhle, wo unsere Vorfahren vor einer Million Jahren Pflanzen und Tiere gebraten haben. 4 IN 1 - Feuer gab unseren Vorfahren Licht in der Nacht, Wärme im Winter, Schutz vor wilden Tieren und gebratenes Fleisch.

Es zu hüten und am Laufen zu halten, war eine große strategische und kommunikative Leistung, die erst einmal erlernt werden musste. Dazu kommt, dass Feuer für unsere Vorfahren eine schier magische Sache gewesen sein musste. Sie kannten seine zerstörerische Kraft und wussten, dass große Vorsicht geboten war. Dennoch überwogen die Vorteile allem Anschein nach die Schattenseiten: Durch die Wärme des Feuers wurde Fleisch schneller verdaulich. Mit der Zeit wagten sich Menschen in kältere Erdteile, was auch durch die Hilfe des Feuers möglich wurde. In dieser Phase entstand eventuell die enge Bindung, die Menschen noch heute empfinden, wenn irgendwo ein Feuer entfacht wird: Die große Ehrfurcht vor der Kraft des Feuers auf der einen Seite und die überlebenswichtigen Vorteile, die seine Nutzung auf der anderen Seite hervorbrachte: Dieser Gegensatz erzeugte ein enormes Spannungsfeld, in dem wir uns bis heute bewegen. 

Akra ist angekommen. Der Ort ist kaum mehr wiederzuerkennen. Was früher einmal ein kleines, hoch gewachsenes Wäldchen war, hat sich in eine karge, schwarzgraue Landschaft verwandelt. Die Luft wird immer stickiger, ist mehr und mehr von Schwefel getränkt. Jetzt ist Vorsicht geboten. Jeder Schritt kann ein Feuernest offenlegen und Akra in große Gefahr bringen. Ganz langsam pirschter sich vor, auf der Suche nach einem übrig gebliebenen Feuer. Vor wilden Tieren braucht er sich hier indes
nicht zu fürchten. Die sind alle geflohen und werden das Gebiet auf lange Zeit meiden. Den Instinkt, sich einfach umzudrehen und wegzulaufen, spürt der Homo erectus auch. Doch er weiß, dass seine Zukunft und die seiner Gruppe sehr viel besser aussieht, wenn er jetzt seinen ganzen Mut zusammennimmt. In einiger Entfernung scheint ein Ast zu glimmen, der von einem verkohlten Baumstamm absteht. Behutsam nähert Akra sich sei- nem Ziel. Tatsächlich glimmt der Ast noch, an einigen Stellen zeigt sich immer wieder eine kleine Flamme. In einer schnellen Aktion bricht er den Ast ab und puste leicht über die glimmenden Stellen. Und tatsächlich: Das Feuer wird größer. Im langsamen Tempo, immer wieder das Feuer entfachend, macht sich der Anführer auf den Weg zurück zu seiner Gruppe …

ORT DER ZUSAMMENKUNFT
Noch heute versammeln Menschen sich gerne um ein Lagerfeuer, um sich auszutauschen, zu singen, Geschichten zu erzählen oder einfach nur, um das Knistern der wärmenden Flammen zu genießen.

Wärme, Essen, Licht und Schutz 

Ein Feuer zu kontrollieren, ist eine äußerst schwierige Aufgabe. Es gehört technisches Geschick und Wissen dazu, aber das ist nicht alles. Vor einer Million Jahren waren weder das Gehirn noch unsere Interaktionsfähigkeit so weit ausgeprägt wie heute. Miteinander absprechen, was zu tun ist, erforderte aller Wahrscheinlichkeit nach große Anstrengung. Um solche Absprachen zu treffen, war allerdings noch etwas von besonderer Bedeutung: vorausschauendes Denken und Handeln. Wir können daher nicht nur sagen, dass der Homo erectus ein einigermaßen funktionierendes Sozialgefüge gehabt haben muss, sondern auch, dass solche Gruppen eine größere Überlebenschance hatten, denen das Bändigen des Feuers gelang. Hatte am Ende Feuer eine viel wichtigere Funktion in der Evolution des Menschen inne, als wir heute vermuten? 

Akras mutiger Ausflug hat sich gelohnt. Schon von Weitem hört er die Jubelschreie der Gruppe. Kein Mitglied kann seine Freude darüber verbergen, dass Akra einen brennenden Ast aus dem Wald mitbringt. Ab jetzt hat jeder seine Aufgabe: Während die Jungen trockenes Gras und Holz sammeln, bereiten die Älteren eine sichere Feuerstelle vor. Ein Kreis aus Steinen im Inneren ihrer Höhle schützt die Gruppe vor einer Ausbreitung der Flammen, gleichzeitig kann kein Regenschauer das Feuer ersticken. In den nächsten Stunden und Tagen werden alle akribisch darauf achten, die Flammen am Leben zu erhalten. So werden die kommenden Mahlzeiten leichter verdaulich sein und der nahende Winter besser zu überstehen. In den letzten Wintern hat die Gruppe jedes Mal ein bisschen besser gelernt, sparsam mit Brennholz umzugehen. Was auch immer geschieht, das Feuer darf jetzt nicht aus- gehen. Ab jetzt werden sie alle von der Wärme und dem Licht der Flammen profitieren. Akra ist zufrieden. 

Welchen immensen Einfluss das Feuer auf die Zivilisation gehabt hat, davon erzählen zahllose Mythen und Legenden. Bei den Griechen war es Prometheus, der den Göttern das Feuerstahl. Dieselbe Funktion nimmt bei den neuseeländischen Maori der Halbgott Māui ein. In der nordischen Mythologie personifiziert der Riese Logi das Feuer, während der Hinduismus mit Agni einen Gott des Feuers benennt. Es gibt etliche weitere Erzählungen rund um das Feuer, aus allen Teilen der Welt. Sie alle zeigen, welche Bedeutung es für unsere Vorfahren hatte. Anthropologen gehen davon aus, dass das Feuer einen evolutionären Vorteil brachte: Im Gegensatz zu rohem Fleisch ist es in gebratenem Zustand nicht nur leichter bekömmlich, es enthält auch weniger Krankheitskeime und Parasiten. Dieser Umstand soll das Wachstum unseres Gehirns positiv beeinflusst haben, so die Wissenschaft. Was also mit Menschen wie Akra und seiner Gruppe begann, als vorsichtige erste Nutzung des Feuers, entwickelte sich zu einer enormen Erfolgsgeschichte der Menschheit. 

Jenseits von Mythen spielt Feuer auch heute für uns eine große Rolle. Weltweit wird beispielsweise das Lagerfeuer als Ort der Begegnung und des Austausches angesehen. Denn auch heute sind wir gern in der Nähe eines kontrollierten Feuers, in geselliger Runde oder in abgeschiedener Kontemplation. Und der Kamin trägt dazu bei, dass unser Zuhause ein Ort der Wärme und Gemütlichkeit ist. Die beruhigende Wirkung eines flackernden Kaminfeuers zieht uns nach wie vor in seinen Bann.